„Geschliffen.”

Humoreske von Teo von Torn
in: „Pilsener Tagblatt” vom 19.06.1900


Lieutenant von Plincker war in sehr schlechter Stimmung — und das hat für einen Subalternoffizier seine ernsten Bedenken. „Stimmungen ” sind sozusagen unmilitärisch. Unter Umständen kann es sogar für einen Divisionscommandeur nachtheilig sein, wenn die Harmonie seiner Seele merklichen Schwankungen ausgesetzt ist. Um wieviel mehr für einen Lieutenant.

Damit soll aber keineswegs gesagt sein, daß ein militärisches Gemüth auf dem einfachen Reglements-, beziehungsweise Usancenwege jene innere Abklärung anzustreben hat, welche die Philosophie der Stoiker als irdisches Lebensziel hinstellt. Das wäre nicht nur unmöglich, sondern auch verkehrt. Es könnte das leicht als „Schlappheit” aufgefaßt werden — eine Eigenschaft, die noch unmilitärischer ist, als selbst die schlechteste Stimmung. Die goldene Mitte liegt in der Kunst des seligen Janus, zwei Gesichter zu haben und seine „Stimmungen” immer nur nach unten, niemals nach oben bemerkbar zu machen: Eine Verwechslung führt meistentheils direct in die Wurst.

Lieutenant von Plincker, commandirt zur Versuchsabtheilung, hatte den ehrenvollen Auftrag gehabt, die fünf ratternden Automobilwagen zu vernachtquartieren, welche die Abtheilung heute unter dem Commando Seiner Excellenz des Herrn Generallieutenants Störmer zehn Stunden lang in allen Gangarten des Wahnsinns geprüft hatte. Und fast ebenso lange war Lieutenant von Plincker zu Roß gewesen — um für die Leistungsfähigkeit der neuen Vehikel gleichzeitig einen Maßstab in Menschen- und Pferdekräften zu geben. Das war schon sehr bitter. Und dann noch als Draufgabe eine halbe Stunde Wegs hin und zurück auf dem berühmten Breitheimer Pflaster in einer fauchenden und stuckernden Chaise.

Während Plinckers körperliche Verfassung die Mitte hielt zwischen Hackfleisch und Umfallen, war auch seine seelische, wie gesagt, nicht die beste. Excellenz hatte ihn chikaniert, das unterlag keinem Zweifel, seit Fräulein Lilli Störmer eigensinnig darauf verharrte, entweder den Artillerieofficier Ernst Achim von Plincker zu heiraten oder aber sich einen Mops zu kaufen und ledig zu bleiben.

Dem Glücke der ebenso fest als heimlich Versprochenen stand eigentlich niuchts entgegen, als die Ansicht des Herrn Generals, daß Herr von Plincker trotz einiger vorzüglicher Qualitäten als Soldat und Cavalier nicht schneidig genug sei — und so „schliff” er denn seinen präsumptiven Schwiegersohn nach allen Regeln der Kunst, wo er nur irgend konnte.

Als der rampanierte junge Kriegsmann die duftende Benzineuse vor dem Hotel „Zum Hecht” stoppte, hatten seine Kameraden bereits abgegessen und unterhielten sich auf der Hotel-Veranda so laut und ungezwungen, wie es eben nur in Abwesenheit jeglicher „höheren Wesen” denkbar ist.

„Plincker! — Achim! — Mensch! — Armer Wurm! — Wie geht's! Nun trinken sie mal erst — das ist besser wie Hirschtalg und Salicyl!”

„Nee, Kinder, laßt mich in Ruh!” rief der Ankömmling, indem er die auf ihn Eindringenden mit beiden Armen abwehrte. „Ich habe augenblicklich nur die eine Bitte an Euch — wenn ich jetzt „dot” umfalle, dann begrabt mich mit dem Gesicht nach unten. Erstens kann ich auf der anderen Seite nicht liegen und zweitens — — — — na ja; wo ist übrigens Herr Störmer!?”

„Hier — Herr Lieutenant.”

Die Officiere standen wie vom Donner gerührt, und Plincker sah sich in seinem verstörten Geiste bereits Lebensversicherungen acquirieren, als der General hinter einer von Efeu umrankten Box am äußersten Ende der Veranda auftauchte, die Zeitung aus der Hand legte und nach seiner Mütze griff.

„Lassen Sie sich nicht stören, meine Herren,” winkte der General die übrigen ab. „Nun, Herr Lieutenant von Plincker, was haben Sie mir zu sagen —”

Wenn der Soldat nicht weiß, was er einem Vorgesetzten sagen soll, so sagt er „Zu Befehl”. Und wenn der Lieutenant das diesmal nicht gleich sagte, so lag es daran, daß er immer noch auf einen mitleidigen Erdspalt hoffte, der sich in der nächsten Minute neben ihm aufthun würde.

„Also nichts — nun, so will ich Ihnen etwas sagen, Herr Lieutenant von Plincker,” bemerkte Excellenz mit einem seltsamen Zucken um die aufgedrehten Spitzen seines gelbweißen Schnurrbarts. „Gemeinhin spricht man beim Militär von seinen Vorgesetzten unter Nennung ihres Ranges. Unter Umständen aber kann man auch „der Alte” sagen, und fühlt man sich geärgert, dann kann man sogar sagen „der Kerl” Ja, ich würde es begreifen, wenn jemand, der zehn Stunden zu Pferde gesessen hat, schließlich fragen wollte: „wo ist der verfluchte Kerl!” Das wäre immer noch militärisch. Aber von seinem Vorgesetzten mit dessen nacktem Vatersnamen zu sprechen, das ist absolut unmilitärisch, Herr Lieutenant. Verstanden?”

„Zu Befehl, Excellenz!”

„Schön — und damit Sie sehen, daß ich nicht nachtragend bin, dürfen Sie mich jetzt noch ein Stündchen auf dem Benzinkocher begleiten.

— — —

Das Gefühl absoluten „Erledigtseins” äußert sich beim Civil in Apathie, beim Militär in blindem Gehorsam. Wenn der General den Wunsch gehabt hätte, in Begleitung des Lieutenants von Plincker an der äußeren Hauswand des „Hotels zum Hecht” emporzuklimmen, um auf diesem Wege die Mansarden seiner Burschen zu revidieren, der Lieutenant wäre mitgekraxelt. Andererseits aber — wenn der General dabei abgeglitten wäre, hätte er ihn vielleicht auch nicht aufgehalten.

Als Lieutenant von Plincker wieder das Rattern und Stoßen des Ungethüms schmerzhaft unter sich fühlte, uberkam ihn neben der Indianertugend lautlosen Duldens der gefährlichste aller Seelenzustände, die es gibt: die totale Wurschtigkeit.

So oder so — zu Ende war es auf alle Fälle mit ihm. Er saß ohnehin schon halb im Civil-Cylinder. Mochte also der Motor in die Luft gehen oder die ganze infame Karre an irgend einem Baum oder Bordstein in tausend Granatsplitter gehen — ihm war's egal. Es blieb dann für ihn immerhin die eine Möglichkeit offen, daß derjenige Theil seines Leibes, den die Fahrt am schmerzlichsten berührte, vielleicht in einer kühlen Wasserlache landete. Und das dachte er sich wonnig.

Mit keinem Ohr hörte er auf die unarticulierten Schreie, Flüche und Beschwörungen neben ihm, welche das Tosen des mit Eilzugsgeschwindigkeit einherrasenden Vehikels hie und da übertönten. Bäume, Häuser, Meilensteine jagten nur so vorüber, der Wind schnitt im Gesicht und an den Händen wie mit Messern und bei jeder Unebenheit des Bodens machte der schnaubende Kasten einen Satz, als wollte er über die Chausseebäume hinweg — es war ein Fahrt, als wenn der Teufel seine Großmutter auf den Blocksberg kutschierte.

— — —

Als Lieutenant von Plincker nach einer Spaziertour von fünfundzwanzig Kilometern vor dem Hotel „Zum Hecht” in Breitheim stoppte, hing Excellenz ziemlich schlapp auf den fingerdick bestaubten Lederkissen.

Auf die Chaiselongue wünschten Excellenz ausdrücklich — mit der anderen Seite gelegt zu werden. Und als er sich einigermaßen erholt hatte, erhielt Lieutenant von Plincker die Ordre: Zu Excellenz!

Er trat ein — ruhig und fest, da er sich sein mündliches Abschiedsgesuch bereits zweimal überhört hatte.

Der alte Herr schwulte aus seiner unbequemen lage ingrimmig zu ihm auf und murmelte etwas, das wie „verfluchter Kerl” klang. Dann aber zuckten wieder die gelbweißen Schnurrbartspitzen.

„Hübsch war's eigentlich nicht, was Sie da mit Ihrem Schwiegerpapa aufgestellt haben —”

„Excellenz — —”

„Nee Sie! Bleiben Sie mir ja vom Leibe. Zärtlich sein können Sie meiner Tochter gegenüber. Mir genügt, daß Sie Schneid haben.”

— — —